Zum nunmehr fünfzehnten Mal versammelt das New Adits Festival aktuelle künstlerische Positionen in Zeitgenössischer Musik, avanciertem Pop, in Clubmusik und interdisziplinärer Kunst. Seit der ersten Ausgabe 2010 steht hier das ungefilterte Musikerlebnis im Vordergrund. Und von Beginn an vertritt das New Adits Kuratorium das Prinzip, dass Kompromisse in der Kunst nichts zu suchen haben. Auch in diesem Jahr spiegelt sich dieser Grundsatz im Programm wieder. Weder sich selbst, noch dem Publikum machen es die Festivalbetreiber:innen mit ihrer kontrastreichen Programmgestaltung allzu einfach. Denn beide Seiten wissen, dass beglückende Konzerterfahrungen nur mit einem fordernden Programm zu haben sind.
Alleiniger Austragungsort in diesem Jahr ist die Villa For Forest in Klagenfurt. An allen vier Festivalterminen ist dort das künstliche Ökosystem der Klanginstallation „animal-voice-pavilion“ von Fabian Lanzmaier und Paul Gründorfer zu erleben. Zur Festivaleröffnung präsentiert Patrick K.-H. von der Floating Sound Gallery exklusive Kompositionen über ein mehrkanaliges Lautsprechersystem. Nach einer Soloperformance leitet der Kontrabassist, Komponist und Researcher Christopher A. Williams gemeinsam mit dem Komponisten und Videokünstler Matthias Erian eine offene Impro Session.
Am Donnerstag erwartet uns Laura Pudelek mit einem improvisierten Cello-Konzert. Die audiovisuelle Performance agar agar von Martina Moro und Fabian Lanzmaier ist ein offenes Feedback System mit eigener Dynamik. Zum Schluss spielt das Duo Les Marquises Akkordeon und Perkussion mit vollem Körpereinsatz.
Zur Eröffnung des Festival-Freitags zeigt die gefeierte Blockflötistin Dora Donata Sammer den klanglichen Reichtum ihres Instruments. Anschließend erschafft die Vokalkünstlerin Audrey Chen ihre erstaunlichen Klangwelten. Nur mit zwei Snare-Drums erzeugt Etienne Nillesen eine verblüffende Fülle an Tonhöhen, Obertönen und Klangfarben. Versiert und ideenreich entfalten die drei Musiker:innen von FRI3SER die hypnotische Wirkung ihrer Musik.
Die Bassistin Zahra Mani lädt uns am Samstag dazu ein, uns fallen zu lassen in ihre psychoaktiven Soundscapes. Für die jagenden Tapping-Figuren des Ryan Kernoa ist die viersaitige Tenorgitarre das perfekte Instrument. Die Sicht von Clara Frühstück und Oliver Welter auf Schuberts Winterreise ist entwaffnend, emotional und subjektiv. Und zum Abschluss unterwandert Moritz Nahold aka Subletvis Konventionen von Dancefloor und Elektronika.
Mi.19.11.
Die Klanginstallation „animal-voice-pavilion“ schafft für die diesjährige Ausgabe von New Adits einen gleichermaßen unterhaltsamen wie beklemmenden künstlerischen Rahmen. Mit dieser Arbeit haben Fabian Lanzmaier und Paul Gründorfer ein künstliches Ökosystem aus unabhängigen elektromechanischen und digitalen Klangerzeugern entworfen. Integriert in ein sich selbst regulierendes Netzwerk, machen diese Apparate alle nur erdenklichen, „natürlich“ anmutenden Quak-, Gurgel-, Schlürf-, Raschel-, Flatter- und Piep-Geräusche. Willkommen im Tümpel der Maschinen!
An den Schnittstellen zwischen Kunstgalerie, Konzertraum und Plattenlabel operiert die Floating Sound Gallery. Ohne die übliche Club- und Bühnensituation kann man hier in der Wiener Pernerstorfergasse mehrkanalige Musikproduktionen erleben. Zur Eröffnung der diesjährigen Ausgabe des New Adits Festivals wird Patrick K.-H., seines Zeichens Leiter der Floating Sound Gallery, erlesene Mehrkanal Produktionen über ein spezielles Lautsprechersystem in der Villa For Forest zu Gehör bringen.
Der Kontrabassist, Komponist und Forscher Christopher A. Williams ist sowohl in der akademischen Welt als auch in der improvisatorischen Praxis zuhause. Er kollaborierte bereits mit unzähligen Künstler:innen, darunter Derek Bailey, Andrea Neumann, Robyn Schulkowsky, Splitter Orchester und vielen anderen. Williams unterrichtet künstlerische Forschung und Performance an der Gustav Mahler Privatuniversität für Musik in Klagenfurt und forscht im Projekt „Improvisation und Ethik“ an der Kunstuniversität Graz. Für New Adits wird er nach einer Solo-Performance gemeinsam mit dem Komponisten und Videokünstler Matthias Erian eine offene Impro-Session leiten.
Do.20.11.
Eng verwoben mit der Wiener Experimental Szene ist die Cellistin Laura Pudelek. Mit ihrem ausdrucksstarken Ton und ihrer chamäleonhaften Vielseitigkeit ist sie eine gefragte Partnerin für die unterschiedlichsten Projekte und Kollaborationen. Pudelek studierte Improvisation und Neue Musik und bezieht Tanz und Performance in ihre künstlerische Arbeit mit ein.
In der audiovisuellen Performance agar agar von Martina Moro und Fabian Lanzmaier greifen Ton und Bild ineinander und beeinflussen sich gegenseitig. In Echtzeit erzeugte Synthesizerklänge werden an Audiowandler gesendet, die Flüssigkeiten in einem Behälter anregen. Die auf der Oberfläche der Flüssigkeiten erscheinenden Muster werden auf eine Leinwand projiziert und diese Bilder wieder in den Audiopfad zurückgeführt. Dadurch entsteht ein offenes Feedbacksystem mit eigener Dynamik, eine wilde Choreografie tanzender Frequenzen.
Für Emilie Škrijelj ist das Akkordeon ganzheitlicher Klangkörper, Forschungsgegenstand und Abenteuerspielplatz zugleich. Während sie etwa eine Seite mit der flachen Hand bearbeitet, lässt sie ihr Instrument stottern und fauchen. Den Falten des Balgs entlockt sie feines Knistern, massive Bässe und höchste Frequenzen.
Der belgische Perkussionist Tom Malmendier hat mit seinen freien Improvisationen eine unverkennbare Klangsprache entwickelt. Technisch überaus versiert, bespielt Malmendier alles, was in seiner Reichweite liegt – Felle, Rahmen oder Fußböden. Als Les Marquises musizieren Škrijelj und Malmendier haptisch, zupackend und experimentell im eigentlichen Wortsinn – getrieben von Neugier und mit offenem Ausgang.
Fr.21.11.
Dora Donata Sammer geht bei jedem Konzert an ihre Grenzen. Mit vollem Körpereinsatz zeigt die Absolventin des Masterstudiums Blockflöte am Mozarteum Salzburg den ganzen Reichtum ihres nur vordergründig einfachen Instruments. Die überaus vielseitige Ausnahmemusikerin fühlt sich in alter Musik ebenso zuhause wie in barocker Kammermusik, zeitgenössischer Musik und Improvisation.
Niemand knurrt, brummt und krächzt so sinnlich wie Audrey Chen. Die Vokalkünstlerin erschafft ganze Klangwelten mit ihrer Stimme. Über Schluchten gutturaler Laute lässt sie den Wind ihres Atems pfeifen und erdet die luftigen Sounds mit ihrem Cello. Wenn sie ihre weiten Spannungsbögen entwickelt, scheint Chen unerreichbar weit weg. Und doch erzeugt sie mit diesem direktesten aller Instrumente – der Stimme – eine Nähe, die mitunter schwer auszuhalten ist.
Unter den Händen des niederländischen Schlagzeugers Etienne Nillesen wird die Snaredrum zum Harmonieinstrument. In seinem Programm „Reimagining The Snare Drum“ erzeugt er mit kreisenden Bewegungen auf zwei unterschiedlich gestimmten Snares eine verblüffende Fülle an Tonhöhen, Obertönen und Klangfarben. Auf diese Weise weist er der Perkussion einen neuen Weg und öffnet die Tür zu einer Klangwelt voll schwebender Harmonien, feiner Texturen und pulsierender Rhythmik.
Das Trio FRI3SER um den Pianisten Lucca Fries spielt mitreißende Instrumentals zwischen Club und avancierter Rockmusik. Fries‘ minimalistischer und perkussiver Stil wird durch sparsame Grooves von Bass und Schlagzeug auf ein neues Level gehoben. Versiert und ideenreich entfalten die drei Musiker:innen mit jeder ihrer Performances die hypnotische Wirkung ihrer Musik. Mittels unaufdringlicher Präparation gibt Lucca Fries dem Klavier einen subtil elektronischen Klang und setzt so entscheidende Akzente im Bandsound.
Sa. 22.11.
Zahra Mani lädt ihre Hörerschaft ein, sich fallen zu lassen in die Tiefe der Klangräume, die ihre Musik öffnet. Mit Hilfe von behutsam arrangierten field recordings und electronics schafft die Bassistin psychoaktive Soundscapes, deren Nähe zu Klanginstallationen stets spürbar ist. Dennoch sind ihre Arbeiten nie statisch. Im Gegenteil, Manis Musik fließt und ruht in sich selbst, entkoppelt von jedem zeitlichen Korsett.
Die viersaitige Tenorgitarre entstand in den 20er Jahren in den USA als eine Art Übergang zwischen Banjo, Violine und sechssaitiger Gitarre. Für die jagenden Tapping-Figuren des Ryan Kernoa ist sie das perfekte Instrument. Beidhändig benutzt der begnadete Gitarrist und Musikdramaturg ihre vier Saiten wie eine Klaviatur. Mit rasend schnellen Arpeggios, polyrhythmischen Patterns und einem speziellen Verstärker Setup werden seine Konzerte zu immersiven musikalischen Erfahrungen.
Wenn Clara Frühstück und Oliver Welter ihre gefeierte Adaption von Schuberts Winterreise performen, dann sind sie dabei weder vorsichtig noch subtil. Im Gegenteil, ihre Sicht auf den berühmten Liederzyklus ist hemmungslos emotional und subjektiv. Mit seinen eindringlichen Interpretationen versucht das Duo gar nicht erst, Geist und Gestus des Kunstlieds einzufangen und wiederzugeben. Und, merkwürdig, gerade damit werden sie der Winterreise gerecht, damit treffen sie den Kern des Ganzen.
Mittels gegenläufiger rhythmischer Strukturen und jäher Brüche unterwandert Moritz Nahold aka Subletvis Konventionen von Dancefloor und Elektronika. In der Klangwelt dieses Wiener Produzenten sind höchste Intensität und angenehme Hörerfahrungen keine Widersprüche. Wie beiläufig vollbringt Nahold das Kunststück, gleichzeitig dunkel, überraschend und unterhaltsam zu sein. Ein Rohdiamant in der aktuellen elektronischen Musik.
